FDP im Gemeinderat
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Zieger,
sehr geehrte Damen und Herren,
der Haushalt und der Ausblick darüber hinaus ist nicht überraschend. Nach der Haushaltssperre im Sommer 2019, der Vorstellung der Haushaltsplanung in der Klausurtagung im Oktober und den Berichten der Verwaltung in den Ausschüssen war absehbar, was kommen wird.
Letztlich werden in dem vorgelegten Haushalt drei Erkenntnisse ventiliert:
1. Brücken, städtische Gebäude und Infrastruktur sind keine Pyramiden. Zwar sind sie ähnlich solide gebaut und zeugen auch von einer gewissen Ingenieurskunst. Allerdings ist ihr Alterungs- und Verfallsprozess längst nicht so pittoresk. Man könnte sagen: der touristische Wert einer maroden Brücke oder gefluteter Turnhallentoiletten ist begrenzt.
2. Schulentwicklung hat eine Amplitude. In an dieLegislaturen des Landtages geknüpfte Wellen ändert sich die Anzahl der Schulformen. Die Herausforderung der Stadt ist, der Welle nicht infrastrukturell hinterher zu paddeln, sondern nach Möglichkeit auf ihr zu surfen.
3. Das Wachstum und damit die Gewerbesteuereinnahmen von Industrie und Gewerbe sind nicht gottgegeben. Der über dem Neckartal leuchtende Stern ist jedenfalls nicht mehr ohne weiteres ein Zeichen für den gewerbesteuerlichen Heiland. Unbestreitbar stehen wir am Beginn einer Umbruchphase.
Während uns Erkenntnis 1 und 2 einen Aufgabenkatalog geben, steckt Erkenntnis 3 den dafür vorhandenen Rahmen ab.
Schon jetzt ist klar: ohne eine massive Neuverschuldung in den nächsten Jahren ab 2022 wird die Stadt ihre grundlegenden Aufgaben nicht erfüllen können.
Wir kommen nicht umhin, diese grundlegenden Aufgaben der Stadt zu definieren. Was müssen wir uns in den nächsten Jahren leisten, was können wir uns leisten und was würden wir uns gerne leisten. Eine solche Abwägung von Interessen ist nie leicht.
„In Esslingen geht alles kaputt wird hier keine Wartung gemacht
Ich sage nur Brücken
In Esslingen gibt es nur Umwege bis man an das Ziel kommt so wird auch gearbeitet“
„Es ist echt traurig wie die Politiker mit dieser schönen Stadt umgehen! Brücken kaputt, Treppen kaputt. Warum kümmert sich keiner um den Erhalt der Bauwerke“
So zu lesen als Kommentare eines Beitrages der „Esslinger Zeitung“ auf Facebook vom vergangenen Freitag.
„solche Stadträte wie Sie brauchen wir eigentlich nicht, denn dann können wir zu Zeiten zurückkehren Ende 70 Anfang 80er Jahre in Esslingen, als das Maibaumsingen das kulturelle Highlight der Stadt war.“
So zu lesen in einer an mich gerichteten Mail, nachdem ich angesichts der Haushaltslage nicht freudestrahlend einenBlankoscheck für eine kulturelle Einrichtung in privater Hand in Esslingen ausstellen wollte.
Nur ein Beispiel für das Spannungsfeld divergenter Interessen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen: wir haben einen politisch breit aufgestellten Gemeinderat mit einem großen Interesse an inhaltlicher Arbeit. Wir haben zudem das Privileg, dass sich die populistische, politische Extreme bei uns nur als Randerscheinung und ohne „Alternative“ und ohne „Deutschland“ zeigt. Bei solchen Rahmenbedingungen muss Sacharbeit möglich sein. Und eine solche Sacharbeit werden wir brauchen. Ohne Lieblingsprojekte. Ohne Königsausschuss. Und in Anerkennung anderer Meinungen. Das ist letztlich auch nichts anderes als eine Frage von Kultur.
Gehen wir die inhaltliche Arbeit mit den eingangs erwähnten Erkenntnisse an.
1.
Für die Freien Demokraten ist wichtig, dass alle Maßnahmen - sei es an Gebäuden oder Infrastruktur - immer in einem Kontext gesehen werden. Mit dem Stadtkompass hat die Verwaltung eine Gesamtkonzeption vorgelegt. Das ist richtig und wichtig, um der Stadtentwicklung lange Linien zu geben.
Solche langen Linien wünschen wir uns nun auch im Bereich Mobilität. Einen entsprechenden Antrag haben wir gestellt.
Die Sanierung der Brücken ist auf den Weg gebracht.
Sanierungen an Gebäuden werden dagegen zeitlich geschoben. Das ist in manchem Fall vielleicht nicht gut, in der Gesamtsituation aber vertretbar. Die Grenze ist erreicht, wenn die Nutzbarkeit eines Gebäudes ausfällt, wie es zuletzt bei der Schelztorsporthalle der Fall war. Sanitäre Anlagen sind hier so marode, dass sich der Duft aller kleinen und großen Geschäfte ermattend über die Sportler legte. Das ist keine Umgebung für Schul- oder Vereinssport.
Wir fordern daher die Verwaltung auf, umgehend darzulegen, wie diese Zustände kurzfristig behoben werden können.
Noch wichtiger ist die Aufhebung des Sanierungsstaus an den Schulen und Kitas. Auch dabei ist eine übergreifende Planungmit langen Linien wichtiger als einzelnes Stückwerk. Wir beantragen daher, eine Übersicht der notwendigen Instandhaltungsmaßnahmen zu erstellen. Anhand dieser Übersicht kann dann in Abstimmung den Nutzern eine Priorisierung der Maßnahmen erfolgen.
2.
Kommen wir von den Schulgebäuden zu den wichtigsten Schulinhalten: den Schülerinnen und Schülern.
Als Kommune ist unser Einfluss auf die Entwicklung der Schulpolitik im Land begrenzt. Erleben wir eine Verschiebung der Priorisierung innerhalb der Schultypen, müssen wir diese Verschiebung in der Praxis umsetzen.
Die Eingangszahlen in den weiterführenden Schulen sind uns bekannt. Der tatsächliche Bedarf an den Schulen lässt sich daraus aber nicht herleiten, denn die Zahl der Schulformwechsler wird bislang nicht erfasst. Wir beantragen daher eine Master- oder Projektarbeit an die Hochschule Esslingen zu vergeben, die die Zahl der Schulformwechsler ebenso analysiert, wie deren Gründe und die Korrelation mit der Grundschulempfehlung.
Auf Basis des Ergebnisses kann eine gezielte Schulplanung erfolgen.
3.
Nach den zu erwartenden Rückgängen in den Gewerbesteuereinnahmen hat die Verwaltung mit der Haushaltssperre den ersten Schritt zu einer weiteren Konsolidierung getan. Der nun vorgelegte Haushalt geht diesen Weg weiter, Herr Bürgermeister Rust hat es in seinen Erläuterungen am 20.01.2020 dargestellt.
Wir sehen aber noch weitere, bislang nicht berücksichtigte Möglichkeiten.
Bekannter Maßen beschäftigt der Fachkräftemangel nicht nur die Industrie und das Gewerbe, sondern auch die Stadt Esslingen. Seit 2015 lagen die tatsächlichen Personalaufwendungen immer deutlich unterhalb des Planansatzes. Es konnten schlicht nicht alle Stellen die vorgesehen waren, auch besetzt werden.
Zum Stichtag 30.09.2019 waren rund 9% der Stellen nicht besetzt. Uns liegt nun ein Stellenplan mit weiteren 136 noch zu schaffenden Stellen vor.
Ich spüre schon den eiskalten Hauch kollektiven Luftholens auf meiner linken Seite, aber:
Wir wollen weder den Stellenplan thematisieren noch in bestehende Gehaltsstrukturen eingreifen.
Es widerspricht nur der Erfahrung aus den letzten Jahren, dass die in Ansatz gebrachten Stellen tatsächlich alle bis Ende 2021 besetzt werden können. Im Haushaltsplan sind also Mittel eingestellt, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht abgerufen werden können.
Wir beantragen daher den Ansatz der Personalkosten in den Jahren 2020 und 2021 um jeweils 2% zu kürzen. Damit werden auch die unbesetzten Stellen im Haushalt abgebildet. In Zahlen ausgedrückt: 2021 sinkt der haushalterische Personalaufwand so um fast 2 Millionen Euro.
Mit den genannten Einsparungen kann auf die beabsichtigte Erhöhung der Grundsteuer verzichtet werden. Wir werden in diesem Gremium die Umlagefähigkeit der Grundsteuer auf die Mieter nicht abschaffen können. Und solange die Umlagefähigkeit besteht, verteuert jede Steuererhöhung des Wohnens. Einzelmaßnahmen mit fragwürdiger Praxisrelevanz wie ein Zweckentfremdungsverbot bleiben reine Kosmetik, wenn über Steuererhöhungen das Wohnen direkt verteuert wird.
Ob diese Verteuerung den hier bereits genannten 0,2 % entsprechen wird, zeigt sich erst, wenn wir wissen, wie das Land die Grundsteuerreform umsetzen wird.
Wir beantragen über die Erhöhung der Grundsteuer mit eigenem Antrag und nicht im Rahmen des Beschlusses des Gesamthaushaltes abzustimmen.
Außerdem ist aus Sicht der Freien Demokraten unausweichlich, dass jeder Teilhaushalt seinen Beitrag leistet. Im Teilhaushalt Kultur wären bereits in der letzten Konsolidierung rechnerisch knapp 600.000 Euro strukturell einzusparen gewesen. Dabei geht es nicht darum, irgendjemand seine kulturelle Teilhabe oder Verwirklichung zu nehmen. Sondern es geht um die Frage, was sich die Stadt Esslingen leisten kann.
Anstatt die Förderung für das Kommunale Kino pauschal zu erhöhen, beantragen wir eine echte Schlechtwetterbürgschaft für das Kino auf der Burg.
Zu hinterfragen ist auch die Veranstaltung „Stadt im Fluss“. Zuletzt 2018 unter dem Motto „Stadt der Frauen“ abgehalten, war es
„ein Festival für ein kulturell hochstehendes junges und urbanes Publikum geworden, aber kein Stadtfest für die Durchschnittsbevölkerung von Esslingen“
Das befindet nicht der junge Heißsporn von der FDP, wie man nach der Berichterstattung der letzten Wochen glauben könnte, sondern eine Vertreterin der SPD im Kulturausschuss, nachzulesen in der EZ vom 06.12.2018.
Wir beantragen die Abschaffung der städtischen Förderung. Selbstredend kann das Festival privat finanziert weiter stattfinden.
Auch die Villa Merkel steht für uns auf dem Prüfstand. Wir leisten uns in bester Lage eine Wechselausstellungsfläche für 1,3 Millionen Euro im Jahr, die an der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger vorbei geht. Neue Nutzungskonzepte sollen den Merkel’schen Park zum Erlebnisort aller Esslingerinnen und Esslinger machen. Statt „Stadt im Fluss“ lieber „Stadt am Fluss“.
Wir beantragen, dass die Stadt Esslingen sich um eine Förderung im Rahmen des Landschaftsparks der Region Stuttgart bewirbt. Mit den Fördermitteln soll ein Projekt angestoßen werden, dass das Leben am Fluss als Naherholungsgebiet in den Mittelpunkt rückt.
Auch die Innenstadt soll als Erlebnisort aufgewertet werden. In Wahlkampfzeiten immer wieder als „Open Air Einkaufzentrum“ bezeichnet, sollen den Worten Taten folgen.
Wir beantragen die Erstellung von Hinweistafeln in der Innenstadt, auf denen quartiersbezogen auf Läden, kulturelle Einrichtungen, öffentliche Institutionen und Sehenswürdigkeiten hingewiesen wird. Besucher und Touristen erleben damit die einfache Orientierung wie in einem Einkaufszentrum und entdecken Orte und Geschäfte auch abseits der breiten Pfade.
Schließlich gibt es noch ein Projekt, über dessen Sinn und Zweck niemand wird streiten mögen. Der Verein „Frauen helfen Frauen e.V.“ betreibt in Esslingen das Frauenhaus. Anders als bei anderen Themen geht es hier nicht um die Frage des Feierabendvergnügens, sondern um unmittelbare Hilfe in höchster persönlicher und körperlicher Not. Der Verein hat einen echten Finanzierungsbedarf.
Wir beantragen, den städtischen Zuschuss für den Verein „Frauen helfen Frauen e.V.“ um jährlich 20.000 Euro zu erhöhen.
Meine Damen und Herren, ich danke für die Aufmerksamkeit und freue mich auf lebhafte Haushaltsdebatten in den Ausschüssen, die nicht nur die Bewahrung des Bewährten, sondern auch die Gestaltung des Künftigen im Blick haben.